Liebe Bewohnerinnen, liebe Bewohner,
liebe Beschäftigte in den Werkstätten,
Förderstätten und der TENE,

liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
bei Regens Wagner,

liebe Schwestern und Brüder bei Regens Wagner!

Vielleicht verwundert Sie meine Anrede. Aber heute wende ich mich nicht nur in meiner Funktion als Vorstand und Dienstgeber an Sie, sondern auch als Seelsorger und ganz persönlich.

Vor rund einem halben Jahr wurden die Themen der einzelnen Monate für unsere Reihe „Mit Franziskus auf dem Weg – Franziskanische Impulse“ ausgewählt. Das Thema für den März lautet: „Bruder Wolf! Tu niemandem etwas zu leide!“ Und über dem April steht der Gedanke „Hoffnung, die trägt!“ Der Corona-Virus war damals noch nicht existent. Alles ging seinen gewohnten Gang. Niemand konnte erahnen, in welche Zeit diese beiden Worte fallen werden.

Ja, im Augenblick stoßen wir auf Ängste, die die Macht und die Gewalt haben, den Wolf im Menschen zu wecken. Es braucht nicht viel, dass wir Menschen „zum Tier“ werden. Wie schnell stehen wir in der Gefahr, getrieben und unvernünftig zu handeln, nur an uns zu denken und nicht an die anderen? Wie leicht vergessen wir, dass wir Menschen sind, berufen, niemandem etwas zu leide zu tun? Die sich ständig verändernde Informationslage, die permanent neu dazukommenden Herausforderungen gehen nicht spurlos an uns vorbei. Eine große Unsicherheit breitet sich aus und nistet sich in unsere Gedanken und Herzen. Diese Krisensituation, die wir alle so noch nie erlebt haben, macht was mit uns.

Und gleichzeitig bereiten sich die Christen dieser Welt auf das Osterfest vor. An Ostern feiern wir unsere Hoffnung: Jesus, den Christus. Er schenkt aus christlicher Sicht die Hoffnung, die trägt. Er ist mit uns auf dem Weg. Er lässt uns nicht im Stich. Er begleitet uns durch all die persönlichen und gesellschaftlichen Krisen. Er wagt den Tod und führt zum Leben. Daran glauben wir Christen. Darauf bauen wir unser Leben. Das schenkt uns Kraft, Mut und Zuversicht, selbst mitten in einer Krise nicht den Kopf und nicht das Herz zu verlieren und das zu werden und zu bleiben, was wir sind: Menschen.

Es ist die Hoffnung, die uns hilft, den Wolf in uns zu zähmen, damit wir niemandem etwas zu leide tun.
Es ist die Hoffnung, die uns drängt und motiviert, selbst in einer Krisenzeit Herz zu zeigen und menschlich, das heißt solidarisch, verantwortlich für alle, zu denken und zu handeln.
Es ist die Hoffnung, die uns Kraft gibt, Kräfte zu mobilisieren und Dinge zu ermöglichen, die noch vor kurzem unglaublich und unmöglich schienen.

Vieles was ich in den letzten Tagen bei Regens Wagner erleben und erfahren durfte, ist geprägt und getragen von Zuversicht und Hoffnung!

Seit letzter Woche sieht fast jeder Tag anders aus. Umdenken ist angesagt und neudenken. Gewohnte Strukturen müssen aufgegeben und neue Strukturen geschaffen werden. Vertraute Teams werden auseinandergerissen und neue Teams müssen sich bilden. Alltägliche Wege werden zu verbotenen Wegen und mit fremden, unbekannten Wegen muss man sich plötzlich anfreunden. Niemand weiß, was noch alles kommt, und trotzdem gilt es, grundsätzlich vertrauensvoll Schritt für Schritt das aktuell Notwendige und Machbare anzugehen.

Was Sie, was wir gemeinsam in den vergangenen Tagen geleistet haben, was Sie mitgetragen und mitgestaltet haben, das ist aus meiner Sicht einfach großartig. Dafür möchte ich Ihnen von Herzen einfach nur „Danke!“ sagen. Dank Ihrer Bereitschaft zur Flexibilität und Mobilität, ist zum Schutz und zum Wohl so vieler Menschen das zur Zeit Notwendige und Machbare getan worden.

Und gleichzeitig muss ich Sie auch für die Zeit, die vor uns liegt, um Ihr höchstes Engagement und Ihre absolute Verantwortlichkeit bitten. Nur so wird es uns gemeinsam gelingen, dass wir alle so gut wie möglich durch diese Krisenzeit kommen und dass auch aus dieser Krise eine neue Chance für uns und für die Menschen, die mit uns leben, erwächst. Der Weg, so prophezeien es uns die medizinischen Experten, wird lang und womöglich auch zermürbend. Ein Ende dieser Ausnahmesituation ist aktuell noch nicht in Sicht. Daher werden wir durch diese Krise nur gestärkt kommen, wenn aus den Worten „Solidarität“ und „Nächstenliebe“ Taten und gelebtes Leben wird. Jung und Alt müssen aneinander denken und füreinander handeln. Die Geschwächten und die Starken werden nur Hand in Hand in das - biblisch gesprochen - „neue Land“ nach der Krise einziehen. Kein Mensch darf durch unser Verhalten auf der Strecke bleiben – sonst bleibt die Menschlichkeit unserer Gemeinschaft auf der Strecke.

„Passen Sie auf sich auf und bleiben Sie gesund!“ Dies ist in diesen Tagen ein oftmals ausgesprochener Gruß, der aus tiefstem Herzen kommt. Ja! Passen wir aufeinander auf. Sorgen wir mit, dass niemandem etwas zu leide getan wird durch Egoismus, Uneinsichtigkeit, Leichtsinn und Verantwortungslosigkeit. Achten wir aber auch auf uns, damit uns auf dem langen Weg nicht zu schnell die Kraft ausgeht. Sorgen wir füreinander, dass wir motiviert bleiben und uns selbst unter diesen Herausforderungen das Lachen nicht vergeht. Dann können wir miteinander ein ähnliches Wunder erfahren wie damals die Israeliten bei ihrem Auszug aus Ägypten, bei ihrem Durchzug durch das Meer und die Wüste bis hin zum Einzug in das neue, gelobte Land.

Auf dass die Hoffnung uns trägt!

Ihr

Rainer Remmele


P.S. Gerne lade ich Sie zu einem geistlichen Zeichen der Verbundenheit ein. Jesus hat uns gelehrt zu beten. Sein Gebet ist das „Vater Unser“. Könnte dieses einfache und schlichte Gebet zu unserem Gebet in diesen Tagen werden? Wie wäre es, wenn wir alle – so weit es für uns stimmig ist – einmal am Tag, z.B. ganz bewusst zwischen 19:00 und 20:00 Uhr verbunden mit den Menschen in Italien und all den anderen Ländern, dieses Gebet für alle Menschen dieser Welt beten? Dass alle Menschen gut, heil, in Frieden und Gerechtigkeit leben können, das wünschen wir uns doch alle. Und das meint Jesus, wenn er mit uns betet: „Dein Reich komme! Dein Wille geschehe!“ Fordern wir ein, dass Gott mit uns ist und mit uns geht und mit uns und durch uns wirkt.