Ankündigung Mosaiksteine der Barmherzigkeit: wöchentlichen Impulstexten während der Fastenzeit und darüber hinaus möchte ich diesem Wort Farbe und Geschmack geben. Die Mosaiksteine der Barmherzigkeit wollen begleiten und anregen - ganz persönlich, für manche Teamrunde, für den Alltag mit den Bewohnern.
Mosaikstein für den Pfingstsonntag
Barmherzigkeit - 14 Wochen lang hat uns nun dieses Wort begleitet. Vom Bauchgefühl war da die Rede, von der Herzlichkeit, der Resonanz, dem Respekt, der Intuition und vielem mehr.
Reich ist diese Haltung der Barmherzigkeit, vielfältig und voller Lebendigkeit. Und weil wir das manchmal im Getriebe des Alltags aus den Augen verlieren, ist es gut, wenn wir uns immer wieder mal gegenseitig daran erinnern.
Manchmal taucht die Frage auf: Was spüren Menschen, wenn sie in unsere Einrichtungen, unsere Werkstätten und Schulen, Wohngruppen und Förderstätten kommen? Welcher Geist weht da durch die Räume, prägt die Gesichter und die Worte?
Es ist schön, wenn deutlich wird: Hier leben Leute, die daran glauben: jeder einzelne zählt, in seiner Einmaligkeit, seiner Schönheit, seiner Bedürftigkeit. Uns geht es ums Gutsein und um das Wohlwollen. Und wo so ein Miteinander erlebt wird, da strahlt etwas Größeres durch. Christen nennen dies das Geheimnis des Heiligen Geistes, den man nicht sieht, aber spüren kann. „Der Heilige Geist wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe.“ (Joh 14, 26)
Dies ist ein Versprechen Jesu. Es sagt mir: „Werde nicht müde, immer wieder neu mit dem Gutsein zu beginnen. Und: Hab nur Mut, Du bist nicht alleine unterwegs, ich gehe mit Dir und schenke Dir meine Barmherzigkeit, wann immer Du sie brauchst.“ Das darf uns froh machen.
Elisabeth Thérèse Winter
Mosaikstein für den sechsten Sonntag nach Ostern
Über manche Dinge kann man wunderbare Worte machen und schöne Sätze schreiben. Damit ist aber noch gar nichts erreicht. Ob es auch mit der Barmherzigkeit so ist?
Solange wir nur davon reden, bekommt sie kein Fleisch und Blut, kein Gesicht und Gewicht. Sie bleibt dann eine leere Worthülse oder ein moralischer Appell, der möglicherweise genau das Gegenteil bewirkt.
Das ist dann so wie im Gleichnis von den ungleichen Söhnen (Mt 21, 28 - 32), das Jesus seinen Jüngern als Beispiel erzählt; der erste Sohn sagt Ja zur Aufforderung seines Vaters, im Weinberg zu arbeiten, und hat dann doch keine Lust. Der zweite Sohn lehnt die Bitte ab, dann tut es ihm nachträglich leid und er geht doch noch an die Arbeit. Jesus lobt das konkrete Handeln und durchschaut das bloße Gerede.
So ist es immer wieder eine Herausforderung im Alltag, nicht bei den Worten stecken zu bleiben, sondern ganz praktisch die Barmherzigkeit in Taten zu übersetzen. Auch wenn wir oft nicht genau wissen, was richtig oder falsch ist.
Elie Wiesel, jüdischer KZ Überlebender, sagt es so: „Wenn ihr nicht wisst, ob euer Tun richtig ist, so fragt euch, ob ihr dadurch den Menschen näher kommt. Ist das nicht der Fall, dann wechselt schleunigst die Richtung, denn was euch den Menschen nicht näher bringt, entfernt euch von Gott.“
Elisabeth Thérèse Winter
Mosaikstein für den fünften Sonntag nach Ostern
Zurück von einer Reise nach Prag, mit einem Besuch bei der Heiligen Agnes von Böhmen, Mitschwester und Freundin der Hl. Klara von Assisi. Noch klingen und schwingen die Eindrücke nach, die Bilder der quirligen Stadt, die herrschaftlichen Bauten und Straßenzüge, das schlichte Agneskloster und das bewegende jüdische Viertel mit seiner jahrhundertealten, oft bedrückenden Geschichte.
Man kann sich der Fülle der Bilder kaum entziehen, sie bringen in der Seele etwas zum Klingen, schenken eine andere wachere Lebendigkeit. Wer offen ist, der hat Raum für neue Bilder, fremde Erfahrungen, andere Klänge.
Ob es nicht ganz ähnlich ist mit der Barmherzigkeit? Barmherzig handeln werde ich dann, wenn ich mich berühren lasse von der Not eines anderen, wenn bei mir etwas anklingt oder in Schwingung kommt, wenn ich überhaupt einen Raum habe für das Befinden und Dasein des Menschen neben mir. So wie eine Gitarre oder Geige ein Gehäuse, einen Körper braucht, damit überhaupt ein Ton herauskommen kann. „Mehr als auf die Worte unseres Mundes hört der Heilige Geist auf den Klang unseres Herzens, und er weiß diesen zu deuten“, schreibt der Geigenbauer Martin Schleske in seinem wunderbaren Buch vom Klang.
Kann ich davon etwas spüren, wie mein Herz gerade klingt?
Elisabeth Thérèse Winter
Mosaikstein für den vierten Sonntag nach Ostern
Eine originelle Übersetzung von Barmherzigkeit entdecke ich in einer biblischen Zeitschrift. Dort wird diese Eigenschaft Gottes mit „Bauchgefühl“ wieder gegeben. In Jesus hat dieses Bauchgefühl eine sichtbare Gestalt bekommen.
Und tatsächlich: So sehr menschlich das gedacht ist, so deutlich drückt es aus, was Mitgefühl ist. Es stellt sich nicht erst nach langem Überlegen und logischem Denken ein, sondern es geschieht „aus dem Bauch“ heraus, intuitiv, wie die Situation es gerade verlangt. Wenn der Barmherzige Samariter erst eine Auszeit gebraucht hätte, um nachzudenken und vernünftig abzuwägen, was er tun soll, dann wäre der von den Räubern Überfallene sicher weiter liegen geblieben. Stattdessen überlegt er nicht lange, sondern folgt seinem Gespür, dem, was er sieht, und handelt.
Ich finde dieses Bild vom Bauchgefühl Gottes anregend. Und frage mich, ob ich überhaupt im Alltagsgeschäft noch spüre und wahrnehme, was mein Bauchgefühl mir sagt; ob ich es mir erlaube, nach meiner Intuition zu handeln oder ob ich kopfgesteuert und rein sachlich auf Situationen und Menschen reagiere, wie sie gerade jetzt und hier auf mich zukommen.
„Das Herz hat seine Gründe, die der Verstand nicht kennt.“ (Pascal)
In dieser Woche gebe ich meiner Intuition, meinem Bauchgefühl ausreichend Luft und Zeit und schaue, was passiert …
Elisabeth Thérèse Winter
Mosaikstein für den dritten Sonntag nach Ostern
Sie kennen diese Werbung vor Fußballübertragungen: Spieler unterschiedlichster Hautfarbe, Nationalität und Sprache bekennen Toleranz und Respekt: „Kein Platz für Rassismus“ sprechen sie in die Kamera und zeigen: egal wer wir sind und wie verschieden wir aussehen – beim Sport soll es keine Ausgrenzung geben!
Jeder hat seine Würde und das Recht, wertgeschätzt zu werden. Keiner ist weniger wert als der andere. Was für den Bereich des Sports gilt, darum wird auch in unserer Gesellschaft gerungen. Der Umgang mit den Flüchtlingen erinnert uns immer wieder daran: alles, was fremd und anders als wir selber ist, das macht uns zuerst Angst oder provoziert Ablehnung.
Dabei wäre ein erster Schritt, dass wir lernen, voreinander Respekt zu haben. Respekt haben – das ist nicht nur Höflichkeit, Anerkennung oder Toleranz. Es bedeutet, mir bewusst zu machen, dass jeder Mensch letztlich ein Geheimnis ist, von dem ich oft genug nur die Außenseite wahrnehme (und beurteile).
Barmherzigkeit und Respekt schauen tiefer und achten die Würde des Kleinen, des Anderen, des Fremden. „Hütet euch davor“, sagt Jesus, „einen von diesen Kleinen zu verachten!“ (Mt 18,10)
Verändert sich etwas in meiner Arbeit, meinem Alltag, wenn ich mir klar mache, dass jeder Bewohner und jeder Mitarbeiter ein einzigartiges Geheimnis ist?
Elisabeth Thérèse Winter
Mosaikstein für den zweiten Sonntag nach Ostern
„Ich habe mich so über mich geärgert, dass mir der ganze Tag verdorben war“, so erzählte mir eine Freundin, der ein blöder Fehler passiert war. Sie hatte sich im Datum geirrt und dadurch einen wichtigen Termin verpasst, der auch andere betraf. Sie machte sich heftige Vorwürfe.
Es kommt nicht selten vor, dass wir uns selber nicht verzeihen können, wenn etwas schief läuft. Da möchten wir es doch besonders gut machen, diese Vorbereitung, dieses Gespräch, diese Planung, diese Begegnung … und dann laufen die Dinge völlig anders. Ich ärgere mich grün und blau und „kaue“ die ganze Zeit an meinem Versagen, bis es größer und größer wird.
Anselm Grün beobachtet in den vielen therapeutischen Gesprächen, die er führt, dass gerade Menschen, die sich barmherzig für andere einsetzen, sehr oft unbarmherzig und hart mit sich selber umgehen. Sie verzeihen sich keinen Fehler, sie verurteilen sich und lassen dann kein gutes Haar an sich gelten. Für jeden anderen haben sie ein Herz, nur nicht für sich selbst.
Schon die frühen Mönche haben das schöne Wort geprägt: „Wenn Du ein Herz hast (eben auch eines für Dich selbst), kannst Du gerettet werden.“ Und im 1. Johannesbrief findet sich die tröstliche Zusage für alle, die sich Fehler nicht verzeihen können: „Denn wenn das Herz uns auch verurteilt – Gott ist größer als unser Herz, und er weiß alles.“ (3,20)
Es könnte sich lohnen, in dieser Woche auf Situationen zu achten, in denen ich mich über mich selber ärgere oder mich selber abwerte. Vielleicht versuche ich es mal: stopp sagen, die inneren Anklagen unterbrechen, Humor und Verständnis ausprobieren …
Elisabeth Thérèse Winter
Mosaikstein für den ersten Sonntag nach Ostern
Barmherzig sein lebt von der Fähigkeit, sich Zeit zu nehmen: Zeit für den Augenblick, Zeit für den anderen, Zeit für eine unerwartete Situation. Oft sind wir so voller Gedanken, Hektik und Plänen, dass wir immer schon fünf Schritte weiter sind. Das Problem: mir entgeht dann das Hier und Jetzt, der konkrete Mensch, der vielleicht gerade jetzt mein Ohr und meine Nähe braucht.
Im Deutschen gibt es das schöne Wort „Innehalten“; Erfahrungen, die ich mache, Begegnungen, Gespräche kann ich sozusagen verlängern und vertiefen, wenn ich sie nach Innen halte. Oft entdecke ich dann erst auf den zweiten und dritten Blick das Kostbare eines Moments.
Der Schriftsteller Andreas Knapp erzählt eine eigene Erfahrung: „Täglich eine Zeit der Stille, bewusste Pausen und Unterbrechungen, eine medienfreie Zone schaffen.
Viele Dinge stopfen den Alltag zu, aber ich kann mir jeden Tag einen Viertelstunde schenken: z.B. für einen kleinen aufmerksamen Spaziergang ... ich bleibe stehen, rieche, lausche, atme bewusst einmal durch. In solchen geschenkten Augenblicken kann ich meinen Alltag als den Ort erfahren, an dem Gott auf mich wartet.“
In dieser Woche leiste ich mir jeden Tag eine Unterbrechung, bei der ich Atem hole und den gegenwärtigen Augenblick nach innen halte – das Innen, dort wo ich bei mir zuhause bin …
Elisabeth Thérèse Winter
Ostersonntag
Das Wort Barmherzigkeit kommt in der Bibel gar nicht so häufig vor, wie man vielleicht meinen könnte. Der Sache nach erzählen aber viele Geschichten vom Erbarmen Gottes und vom Mitgefühl der Menschen. Es ist doch vielsagend, dass das hebräische Wort für „Erbarmen“ soviel bedeutet wie „Mutterschoß, Gebärmutter“. Da, wo alles Leben letztlich herkommt, dort ist auch der erste Sitz der Barmherzigkeit.
Das Bild des Mutterschoßes ist der Inbegriff der Zuflucht, des Trostes, der Wärme und des Daheimseins. Das hat viel mit Zärtlichkeit und Zuneigung zu tun. Wir hören davon in diesen österlichen Tagen, wenn die Evangelisten von der ungeheuerlichen Erfahrung der Auferstehung erzählen.
Die Jüngerinnen und Jünger sind irritiert, sind berührt und betroffen, und sie fühlen sich angesprochen von der großen Zu-Neigung Gottes, die sie in Jesus handgreiflich erfahren haben: Eindrucksvoll beschrieben in der Begegnung von Maria Magdalena und Jesus, den sie erst erkennt, als er ihren Namen voll Liebe und Zärtlichkeit nennt. Ihr Glaube wandert vom Kopf ins Herz, rührt Gemüt und Sinne an und wird ihr zum eigentlichen Schatz ihres Lebens.
In dieser Osterwoche kann ich mir immer mal wieder vorstellen: Dass Jesus, die Kraft Gottes, auch mich mit Namen anspricht und sich mir zuneigt - so, wie ich bin.
Elisabeth Thérèse Winter
Was fällt Ihnen ein, wenn Sie das Wort „Geduld“ hören? Wie geht es Ihnen damit im Alltag? Sind Sie von Natur aus ein geduldiger Mensch oder neigen Sie zum Tempo, zur Unruhe, zum Vorwärtskommen?
„Gib mir Geduld, Herr, aber ein bisschen plötzlich!“, so bringt es ein Gebet ironisch auf den Punkt. Geduld gehört eher zu den langsamen Tugenden, ähnlich wie die Beharrlichkeit, die Ausdauer, das Warten. Wer viel mit Menschen und mit Lebendigem umgeht, der kommt ohne Geduld nicht aus. Weil Mensch, Tier und Pflanze einfach nicht so funktionieren wie es praktisch wäre. Weil sie ihren eigenen Kopf und Willen haben. Weil sie ein anderes Tempo haben als ich.
Die Ungeduld treibt an, lässt den anderen nicht mitkommen. Ungeduld will sofort die schnelle Lösung und vertraut nicht auf den Weg, den man gemeinsam gehen könnte, um etwas zu bewegen. Ungeduld fördert unbarmherzige und aggressive Urteile, sie gestattet keinen Raum zur Entwicklung.
„Hab Geduld mit mir! Ich werde dir alles zurückzahlen“, fleht der Schuldner im Evangelium (Mt 18). Und der Herr hat Mitleid mit ihm und erlässt ihm die ganze Schuld. Jesus lädt ein, diese Geduld nachzuahmen.
Ich kann es in dieser Karwoche einmal probieren: Ich schreibe das Wort Geduld auf eine Karte und lege sie an einen Ort, an dem ich tagsüber oft vorbeikomme …
Elisabeth Thérèse Winter
Man stelle sich das vor: der Vater aus dem Gleichnis bei Lukas 15 hätte zu seinem jüngeren Sohn gesagt, als der wieder heimkam: „Du ungeratener Sohn, das hast Du nun davon, dass Du abgehauen bist, jetzt brauchst Du auch nicht mehr daher kommen!“
Oder Jesus hätte die Ehebrecherin bei Johannes 8 zurechtgewiesen mit den Worten: „Gute Frau, das musst selbst Du einsehen, dass Recht und Ordnung sein müssen! Klar müssen wir Dich verurteilen, wo kämen wir denn da sonst hin?“
Würde es im Evangelium nach dieser Logik zugehen, dann bräuchten wir dieses Buch nicht. Denn von dieser „Menschenlogik“ ist unsere Welt voll. Menschen rechnen einander die Fehler vor, sie tragen jahrzehntelang Streit und Hass weiter, und nicht selten ist die Kommunikation völlig abgebrochen: die Mutter redet mit der Tochter nicht mehr, der Nachbar mit der Nachbarin, der Bruder mit der Schwester. „Der ist für mich gestorben“ – sagen wir dann.
Eigentlich brutal und gnadenlos! Dabei ahnen wir, dass es ohne Nachsicht und Vergebung überhaupt nicht geht im Zusammenleben. Und dass ich mir mit einem unversöhnlichen Herzen letztlich selber schade, weil es mich hart und unbarmherzig macht.
In welchem Bereich sehne ich mich vielleicht nach Wiedergutmachung und Aussöhnung? Was möchte in mir heilen?
Elisabeth Thérèse Winter
„Bei so viel Not und Elend in unserer Welt – was kann man schon dran ändern? Der Einzelne ist ja doch machtlos …“!
So oder so ähnlich hört sich die Stimme der Resignation an, die voller Pessimismus auf all die Schwierigkeiten schaut. Und vor lauter Problemen keinen Mut findet, überhaupt etwas zu tun.
Ganz anders die Kraft der Barmherzigkeit, die eng verwandt ist mit einer anderen Energiequelle: der Quelle der Kreativität. Kennen Sie das gute Gefühl, mit schöpferischer Phantasie Neues auszuprobieren, mit Menschen ins Gespräch zu gehen, etwas zu riskieren, um zu schauen, ob da nicht in Verbundenheit etwas Neues entsteht? Wenn viele an Ideen spinnen, dann kann sich etwas konkret bewegen und verändern, voller Staunen und Überraschungen, ohne schon genau zu wissen, was dabei heraus kommt … Spannend, dass Kreativität umso mehr wächst, je mehr wir sie gebrauchen, für uns selbst, aber auch füreinander! Und sie schläft ein, wenn sie ungenutzt bleibt.
Der barmherzige Gott ist ein schöpferischer Gott, der Leben schafft – immer neu, immer anders! Es beginnt mit dem ersten kleinen Schritt, mit der Phantasie der Liebe.
Ich überlege mir für diese Woche ein Vorhaben (ein Gespräch, eine Einladung, einen Besuch, eine äußere Veränderung usw.) und probiere es mal aus …
Elisabeth Thérèse Winter
„Ja, es ist schwierig“, sagt die Dame entschuldigend am Telefon, „wenn man sich immer nur über den PC verständigt und sich nicht persönlich trifft. Da sind Missverständnisse oft vorprogrammiert.“
Was sie ausdrückt, ist unser Alltag geworden. Kommunikation ohne Ende, aber meist nur noch über Technik. Vieles ist ins Funktionieren abgerutscht, die Worte können nicht mehr schwingen und ihre Lebendigkeit entfalten.
Wie können wir uns da wirklich begegnen? Zu einer echten und nachhaltigen Begegnung gehört der ganze Mensch, sein Gesicht, seine Augen, die Stimme, die Mimik und seine Gesten, mit denen er erzählt und mir etwas sagen will. Wie anders klingen oft Sätze, wenn ich den dazu gehörigen Menschen erlebe, sehe, seine Nähe spüre!
Die Kraft der Barmherzigkeit blüht da auf, wo echte Begegnung geschieht. Damit ich mich überhaupt berühren lasse. Ich bleibe dann nicht neutrale Zuschauerin im sicheren Abstand, sondern lasse mich selber ein und riskiere mich. Aber will ich das eigentlich? Gar nicht so einfach. Und doch der einzige Weg, über mich hinauszukommen und offen zu sein.
Auch die kommende Woche ist (hoffentlich) wieder voller Begegnungen. Ich achte besonders auf die Augen und das Gesicht meines Gegenübers, und zeige ihm so: Du, ich sehe Dich!
Elisabeth Thérèse Winter
Es fällt mir auf, dass immer wieder von der Fähigkeit zur Empathie die Rede ist, wenn es um das soziale Miteinander geht. Ohne Mitgefühl geht es nicht. Nicht am Arbeitsplatz, nicht in der Wohngemeinschaft, nicht in der Familie, nicht in der Partnerschaft.
Wer der Spur der Barmherzigkeit folgt, den wird diese Haltung des Mitgefühls froh machen. Das Zusammenleben wird dadurch reicher und wärmer. Wenn ich mich in einen anderen hinein versetze, wenn ich ahne, wie es ihm geht, wenn ich spüre, was er jetzt gerade braucht, dann schenke ich ihm Raum und liebevolle Achtung.
Der barmherzige Mensch hat Taktgefühl, Respekt und kann sich einstellen auf das, was ihm begegnet. Ohne Mitgefühl dagegen geht mich der andere nichts an. Ich verlerne die Fähigkeit zu echten Beziehungen.
In vielen biblischen Geschichten heilt Jesus gerade durch sein mitfühlendes Erkennen und sein geduldiges Nachfragen. „Was soll ich dir tun?“ (Mk 10,51) Auch die buddhistische Tradition ehrt das Mitgefühl als eine unverzichtbare Haltung. Sinngemäß sagt der Dalai Lama: „Mitgefühl und Liebe sind keine bloßen Luxusgüter, sie sind die Quelle von innerem und äußerem Frieden.“
In dieser Woche achte ich im Alltag besonders darauf, wem ich mein Mitgefühl schenken kann und wer mir einfühlsam begegnet. Ich fange bei mir an.
Elisabeth Thérèse Winter
Ganz offensichtlich gehört das Herz in die Mitte der Barmherzigkeit.
Wo Menschen uns herzlich entgegenkommen, da spüren wir Wärme und Freundlichkeit. Unsere Sprache drückt es deutlich aus: Manche Begegnung strahlt so viel Liebenswürdigkeit und Nähe aus, dass wir sagen können: die oder der hat das Herz am rechten Fleck. Wer seine Gefühle zeigt und offen ist, den kann man auch leicht ins Herz schließen. Und wenn mir dann jemand ganz lieb und vertraut geworden ist, dann wächst er mir ans Herz.
Das Herz ist nicht nur das wichtigste Organ in unserem Körper, sondern es steht für das Wesen einer Person, ihre Gefühle, ihre Hoffnung und ihre Verletzlichkeit.
Die Bibel weiß, wie bedeutsam das Herz ist. Im Alten Testament steht dieses schöne Wort: „Mehr als alles hüte dein Herz, denn von ihm geht das Leben aus.“ (Spr 4,23) Ein barmherziger Mensch zu werden, bedeutet achtsam mit meinem Herzen und dem der anderen umzugehen; es manchmal zu schützen, wenn es nötig ist; und es weit zu öffnen, wenn jemand mich anspricht oder braucht.
In dieser Woche achte ich auf Begegnungen und Gesten der Herzlichkeit. Ich kann mir das Bild eines Herzens aufstellen und mich immer wieder daran erinnern: „Mehr als alles hüte dein Herz!“
Elisabeth Thérèse Winter