14 Jahre nach seiner Gründung für gehörlose Mädchen und Frauen in Dillingen schafft J. E. Wagner eine Einrichtung für Menschen mit geistiger Behinderung im ehemaligen Fuggerschloss in Glött. Für den Kauf dieses Gebäudes wandt er sich am 27. September 1869 erneut mit einem gedruckten Spendenaufruf an die Geistlichen im Bistum Augsburg. Darin ist sein Gründergeist, sein handfester Humor und seine gewinnende Art, auf Menschen zuzugehen, besonders zu spüren.
Hochwürdige Herren!
Ein Wort und Werk des Friedens.
Vor 14 Jahren wandte sich der Unterzeichnete an Euch um brüderliche Mithilfe zur Gründung des Institutes für Erziehung und Versorgung taubstummer Mädchen: die Unterstützung wurde in kaum gehoffter Fülle gewährt; das Werk kam zu Stande, das Institut blühet; 89 taubstumme Kinder haben leibliche und geistige Pflege im Institute, wie nur immer Mutterliebe sie gewähren kann, lernen und arbeiten munter zusammen und bilden ein munteres Völklein; ihre Paramenten-Arbeiten sind in der Diözese bereits bekannt; keinen unserer Brüder, der das Institut besuchte, gereute sein Beitrag, jeder hat dieses sein Opfer schon lange verschmerzt, aber die Frucht desselben wirkt segensreich fort. – –
Zu einem ähnlichen Werke der christlichen Liebe ladet der Unterzeichnete nun den hochwürdigen Diöcesan-Clerus ein. Wie eine jüngste Nummer des Pastoralblattes sagte, werden oft in das Taubstummen-Institut Mädchen gebracht, welche nicht taubstumm, sondern Cretine sind, nämlich entweder blödsinnig, oder Idioten oder eigentliche Cretine. Es gibt solcher Kinder weit mehrere, als man beim ersten Ueberblicke meint: ihre Zahl geht in die Hunderte; das Institut kann und darf sie nicht aufnehmen, weil sie den Zöglingen desselben in Raum und Unterricht hinderlich wären, und doch sollte und könnte vielen Familien eine drückende Sorge, vielen Gemeinden eine Belastung der Armenkasse und vielen solcher wahrhaft unglücklichen Kinder leibliche und geistige Verkümmerung abgenommen werden – und zwar mit einem geringen Opfer. Der Unterzeichnete kaufte nämlich zu dem bezeichneten Zwecke das Schloß Glött in der Nachbarschaft von Dilingen, mit sehr gesunden Räumlichkeiten, schöner Hauskapelle, ganz massiv gebaut, gut unterhalten, mit großem, sehr nutzbarem Garten, vielen Nebengebäuden für die Oekonomie, Ställe, Wasch-, Gärtner- und Wächter-Hause, in einer ausgezeichnet zweckmäßigen Lage für ein solches Institut. Aber der Kaufspreis ist 25.000 fl. – wer diese Kaufsobjekte kennt, findet den Preis billig: im Vergleich mit einem Hause dahier, das wir erwerben wollten, ist Glött halb geschenkt.
Aber von dieser Summe hat der Unterzeichnete nur erst einen Theil beisammen, und bis Martini soll der Kaufschilling erlegt werden – darum –
„Aber warum kauft er, wenn er kein Geld hat!“ Brüder, der Unterzeichnete hat schon ein Geld, aber nicht genug, und nun muß er es machen, wie man es bei den meisten und herrlichsten Werken der Kirchen machte: Mehrere stehen zusammen, dann geht es; wohl die wenigsten Pfarreien, Spitäler etc. sind von Einem allein gegründet und fundirt.
„Man lasse den Staat für diese Unglücklichen sorgen, er nimmt genug ein!“ Brüder, die schon so sehr belasteten Staatskassen bedürfen keiner neuen Belastung; wenn der Staat bauen soll, wird es auf jeden Fall ein theurer Bau; und Arbeitsleute, die aus hl. Liebe und umsonst arbeiten, wie meine guten Franziskanerinnen, bekommt der Staat nicht. Es gibt eben Dinge, die der christlichen Charitas angehören und nur unter ihrer Pflege gedeihen.
Darum wende ich mich an Eure Liebe, hochwürdige Herrn und Brüder; helft dieses Denkmal christlicher und seelsorglicher Liebe gründen! Ein Beitrag von 10–15 fl. würde hinreichen, den Kaufpreis zu decken; wer nicht kann – nun vielleicht spenden wohlgesinnte und wohlhabende Parochianen ein Jubiläums-Opfer, das hier gewiß gut angewendet wäre! Und wer keinen Geschmack hat an solchen Werken, den bitte ich, wenigstens nicht zu zanken, sondern ein Memento einzulegen. Mehrere unserer Brüder haben schon, ehe ich mit dem Klingelbeutel kam, Beiträge gesendet, und mich zu dieser Bitte ermuthigt. Jetzt, Brüder, wo wir geschmäht und verläumdet werden, wie nie mehr seit den blühendsten Tagen der Reformation und in Frankreich vor dem Ausbruche der Revolution – jetzt gilt das Wort des hl. Petrus: So ist es der Wille Gottes, daß ihr durch Gutesthun die Unwissenheit thörichter Menschen zum Schweigen bringt. 1 Petr. 2, 15. Fatte ben, fratelli[1]!
Dilingen am Feste des hl. Vincenz von Paul 1869.
Johann Evangelist Wagner,
Regens.
[1] Übersetzung: Gut gemacht, Brüder.
(Quelle: Dillingen, Archiv der Direktion der Regens-Wagner-Stiftungen, Sammlung Johann Evangelist Wagner, IV/1: Gründung in Dillingen, Nr. 460.)