In diesem Dokument bittet J. E. Wagner die Priester des Bistums Augsburg in einer öffentlichkeitswirksamen Aktion um Mithilfe für die Gründung der „Versorgungsanstalt für weibliche Taubstumme“ in Dillingen. In einem gedruckten Bittschreiben stellt er am 22. November 1854 seine große Idee, für Menschen mit Behinderung da zu sein vor, und wirbt für die Zeichnung von Aktien, um den Kaufpreis für das vorgesehene Gebäude aufzubringen. Rund zwei Jahre später bedankt er sich am 12. Oktober 1856 in einem Zeitungsartikel bei allen, die das Projekt – ein immerwährendes Denkmal der christlichen Liebe – unterstützten.
Errichtung
einer Versorgungs-Anstalt
für
weibliche Taubstumme
im
Regierungs-Bezirke Schwaben und Neuburg
Unter den unglücklichen Menschen gehörten von jeher die Taubstummen gewiß zu den unglücklichsten; denn sie waren vormals beinahe von allem religiösen Unterrichte und Troste; von aller Geselligkeit und nützlichen Wirksamkeit ausgeschlossen – nicht selten eine große Last für ihre Familie und Gemeinde.
Aber in unsern Tagen und besonders in unserm Regierungs-Bezirke geschah sehr Vieles, um das Elend dieser Unglücklichen zu mindern und zu mildern. Durch Regierungs- und Gemeinde-Beiträge wird gesorgt, daß die bildungsfähigen Individuen dieser Klasse zur Religion und zu nützlichen Menschen erzogen werden; und die oberhirtlich veranstaltete jährliche Sammlung gibt Aussicht, daß mit der Zeit sich ein segensreicher Fond bilde.
Und es ist wirklich der Mühe werth, daß man Etwas aufbiete für diese Armen; denn es sind ihrer mehrere, als man glauben sollte, besonders Mädchen. Kaum besteht die Unterrichts- und Erziehungs-Anstalt taubstummer Mädchen im Frauenkloster in Dillingen seit 7 Jahren, und schon sammelten sich 28 solcher unglücklichen Kinder, und es wären schon mehrere, wenn das Kloster sie aufnehmen könnte.
Allein dem Kloster fehlt der Raum, und nicht länger können die Klosterfrauen, die Lehramts-Candidatinnen und diese vielen Kinder so enge beisammen wohnen, ohne Nachtheil für ihre Gesundheit.
Dazu kommt nun noch ein Umstand: Manche Taubstummen, welche den Lehr-Curs zurücklegten und sich glücklich fühlten in der Gesellschaft ihres Gleichen, oder die als Waisen doppelt verlassen in der Welt dastehen und selbst ihren Geschwistern in der Versorgung hinderlich sind, wünschen für immer bei den Lehrerinnen und in einem Hause zu bleiben, an welchen sie sorgende Mütter und wo sie eine Heimath gefunden: solche Mädchen müssen nun Arbeit und Unterhalt haben.
Um diesem 3fachen Bedürfnisse – Raum, Arbeit und Lebens-Unterhalt – nachhaltig abzuhelfen, und die ohnehin sehr, sehr in Anspruch genommenen Kreis-Cassen nicht auch noch zu belästigen, – kaufte der Unterzeichnete, durch sachkundige Männer und selbst durch ein hohes Regierungs-Präsidium dazu ermuntert, das ehemalige Bartholomäer-Gebäude, später Schullehrer-Seminar, zuletzt Schwanen-Wirthschaft mit seinen 2 schönen Gärten, 24 Tagwerk Aecker und Wiesen und einem neuen Stadel an – nach seiner gesunden Lage und seinen Räumlichkeiten gewiß das zweckmäßigste Lokale, das sich für ein solches Institut finden läßt.
Der Kaufpreis ist – 13.000 fl.; die Protokoll-Taxen zu 134 fl. 11 kr. bezahlte ein Freund und Wohlthäter des Institutes; zur ersten Adaptation und Einrichtung des Hauses sind bereits 1100 fl. parat.
Der Kaufschilling aber soll so abgetragen werden:
Es werden Aktien à 25 fl. creirt; das heißt unverzinsliche, zurückzahlbare Beiträge zu 25 fl. zur Abzahlung dieses Lokales gesammelt; der Aktionär läßt seine Aktie dem Institute 6 Jahre lang unverzinslich; mit dem Ablaufe des 6ten Jahres erhält er entweder seine Aktie wieder zurück, oder sie wird ihm bis zur Heimbezahlung zu 4 procent verzinst.
Zur Rückzahlung der Aktien sind von Freunden des Institutes und Zeugen dieses mühsamsten aber auch außerordentlich segensreichen Unterrichtes jährlich 1000 fl. garantirt; diese Summe wird jedesmal sogleich auf Zinse gelegt, und die ganze Summe sammt den angelaufenen Interessen wird nach Ablauf der 6 Jahre zur Abbezahlung der Aktien verwendet; und da bereits mehrere edle Menschenfreunde geistlichen und weltlichen Standes versprochen haben, sie wollen etwas Namhaftes beitragen, wenn dieses Werk des Segens und der Nothwendigkeit zu Stande komme: so dürften nach ziemlich sicherer Rechnung nach Umfluß der ersten 6 Jahre nur wenige Aktien unabgelöst bleiben.
Als Garantie bleibt den Aktionären das ganze Anwesen verschrieben, und jeder Aktionär hat den Regreß an das Institut bis zur Heimbezahlung der letzten Aktie.
Da schon bis Anfang Februar die Kaufssumme erlegt werden soll, so ist die Einbezahlung der Beiträge in möglichster Bälde zu wünschen.
Den Unterricht im Institute werden immer nur Ordens-Lehrerinnen besorgen, die für ihre Selbstaufopferung keinen andern Gehalt wollen, als das Essen mit den Zöglingen und den Lohn des Himmels.
Die Leitung des Hauses führt die jeweilige Oberin des hiesigen Frauen-Klosters, welches die Lehrerinnen bilden ließ und hergibt.
Die Ober-Curatel führt nach dem Kirchenrathe von Trient Sessio 22 Caput 8. 9. de reformatione der Hochwürdigste Diözesan-Bischof, dem jederzeit alle Rechnungen des Institutes offen gehalten und alle bedeutenderen Personal- und Real-Veränderungen zur Prüfung vorgelegt werden müssen. Natürlich bleiben der königlichen Regierung ihre Rechte in der Bestimmung der Unterrichts-Zeit und Gegenstände etc. jederzeit ungeschmälert.
Der Oekonomische Fortbestand des Institutes ist gesichert, theils durch die Mitgift der in die Versorgungs-Anstalt Eintretenden, theils durch den Ertrag der Oekonomie, welche in ein paar Jahren von den Mitgliedern der Anstalt selbst versehen werden kann, theils durch die Erträgnisse der beiden Gärten, welche hinlängliches Gemüse liefern, bald auch durch die Interessen des oben berührten Fondes, theils durch die Handarbeiten der meistens sehr geschickten und fleißigen Taubstummen – theils und vorzüglich durch die Vorsehung und ihre Werkzeuge, christliche Herzen, die noch nicht ausgestorben sind.
So ist denn das Unternehmen zwar für den Aktionär nicht lukrativ in zeitlicher Hinsicht: aber für das kleine Opfer – 6 Jahre lang keinen Zins von 25 fl., dann aber sichern Empfang seines Darlehens – ist er Mitgründer einer der segensvollsten Anstalten, die sich denken läßt, einer Anstalt, welche Kinder, die keine Ahnung von Gott, von einer Unsterblichkeit, von einer Erlösung haben, zu glücklichen, nützlichen Menschen und frommen Christinnen bildet. Wer einmal Zeuge dieses Unterrichtes und der Leistung und des Glückes dieser Kinder war, versagt seinen Beistand gewiß nicht!
Dilingen, den 22. November 1854.
Johann Evangelist Wagner, Professor der Theologie.
(Quelle: Dillingen, Archiv der Direktion der Regens-Wagner-Stiftungen, Sammlung Johann Evangelist Wagner, (1): IV/1: Gründung in Dillingen, Nr. 460, (2): Regens-Wagner-Zimmer, (3): IV/1: Gründung in Dillingen, Nr. 130: Beilage zur Augsburger Postzeitung Nr. 233 vom 12. Oktober 1856, S. 932.)